Samstag, 29. Juni 2013

"an' Ah ain' never been call a nigger" Vom Winde verweht - Die Sklavenfrage [Part I]

Mehrere Leute haben mich nach dem letzten Post - in dem ich von meinem neuen Lieblingsbuch "Gone with the Wind" schwärme - darauf angesprochen, wie das Buch mit der Sklavenfrage und mit Rassismus generell umgeht. Während des Lesens konnte ich diese Frage nicht abschließend beantworten. Außerdem konnte ich mir, das nur als Randnotiz, vorstellen, dass es für die Autorin auch gar nicht so ungefährlich gewesen wäre, ihre Meinung allzu deutlich klarzumachen. Wir befinden uns hier schließlich in den USA der 30er Jahre, Rassentrennung war hochaktuell, Martin Luther King gerade mal eben geboren. 

Nicht die beste Zeit, um allzu deutliche Sympathien zu bekunden. 

Margaret Mitchell hat es meiner Meinung nach verstanden, ihre eigene Position nicht preiszugeben und stattdessen ihren Figuren Kommentare in den Mund zu legen, die den Leser zum selbstständigen Nachdenken bringen sollen. Dabei muss man sich auf sein eigenes Urteilsvermögen verlassen, um zu erschließen wer nun eigentlich nach Auffassung der Autorin Recht haben soll, denn die Hauptcharaktere sind nie definitiv als "gut" oder "böse" eingestuft. Sie alle sind sehr komplex, haben gute und schlechte Seiten, gute und schlechte Gedanken, gute und schlechte Gewohnheiten. Zumindest nach heutigen Standards. Und - sehen  wir es mal nüchtern - es gibt in dem Buch keine einzige Figur, die nicht auf eine bestimmte Weise ziemlich dämlich ist. Wer hier Vorbilder sucht, wird kaum fündig werden. Das war es für mich gerade, was die Geschichte so einzigartig macht. Deswegen war ich mir auch nach intensivem Nachdenken nicht ganz sicher, welche Position die Autorin nun eigentlich propagiert. Ich komme in diesem Post aber zu einer Vermutung.

Im Bezug auf Rassismus in Gone with the Wind sind es letztendlich folgende Fragen, die mir auf der Seele brennen:
  1. Welche Position nimmt das Buch bezüglich der Sklavenfrage ein? Propagiert es Rassismus?
  2. Wie akkurat werden die Sklaven-Besitzer Beziehungen in Gone with the Wind beschrieben? Bzw: Hat die Beziehung zwischen Sklaven und Ihren Besitzern irgendeinen Bezug zur Wirklichkeit, oder ist das romantisierter Quatsch?
Über beide Fragen könnte man wahrscheinlich ein eigenes Buch schreiben, ich werde aber versuchen, mich kurz zu halten. Trotzdem wird die Beantwortung (oder der Versuch einer Beantwortung) der beiden Fragen je einen Artikel in Anspruch nehmen. Dieser hier beschäftigt sich mit der ersten Frage.

  1. Welche Position nimmt das Buch "Gone with the Wind" bezüglich der Sklavenfrage ein? Propagiert es Rassismus?

Das Zitat in der Überschrift stammt aus einer der für mich ergreifendsten Szenen des ganzen Buches. Sie beginnt, als Scarlett nach dem Krieg von ein paar Yankee Frauen gefragt wird, wo sie ein gutes Kindermädchen finden könnten. Hier ist, was passiert: 
"That shouldn't be difficult." said Scarlett and laughed. "If you can find a darky just in from the country, who hasn't been spoiled by the Freedman's bureau, you'll have the best kind of servant possible." Woraufhin die Yankee  Frauen empört antworten, dass sie ihre Babies bestimmt nicht einem "black nigger" anvertrauen, denn "I wouldn't trust them farther then I could see them, they give me the creeps."
Scarlett ist gerade damit beschäftigt, an die "dear and comforting hands" ihrer schwarze Haushälterin "Mammy" zu denken, mit der sie ein engeres Verhältnis hat, als mit ihrer eigenen Mutter, als die Frauen beginnen, sich offen über Uncle Peter lustig zu machen. Der alte Haussklave, der Scarlett an diesem Tag herumfährt und während der obigen Konversation neben ihr sitzt, muss sich gefallen lassen, dass die Frauen ihn mit den folgenden Worten verspotten:
"Look at that old nigger swell up like a toad. I'll bet he's an old pet of yours, isn't he? You southerners don't know how to tread niggers. You spoil them to death." 
Scarletts Reaktion darauf ist extrem aufschlussreich, wenn wir analysieren wollen, wie dieses Buch mit der Sklavenfrage umgeht. 
"Scarlett felt, rather than saw, the black chin begin to shake with hurt pride, and a killing rage swept over her. [...] If it were to her own advantage, she would have endured insults about her own virtue and honesty. But the knowledge that they had hurt the faithful old darky with their stupid remarks fired at her like gunpowder. [...] They deserved killing, these insolent, ignorant, arrogant conquerors."
Wir sprechen hier von Scarlett O' Hara, der Frau ohne Gewissen, die kein Problem damit hat, ihre komplette Nation von den Yankees beleidigen zu lassen, wenn nur sie dadurch Gewinn macht. Die sich sogar selbst beleidigen lässt, ohne dass es ihrem Stolz besonders zusetzt, weil sie ja weiß, dass sie die Yankees letztendlich um ihr Geld erleichtert. ABER in dem Moment, in dem Uncle Peter beleidigt wird, verliert sie um ein Haar ihre Selbstbeherrschung.Sie schafft es gerade so, mit den Worten "Uncle Peter is one of our family. Good  afternoon. Drive on, Peter" die Flucht zu ergreifen, bevor die Sache eskaliert.

 Aus dieser Szene lassen sich mehrere Dinge schließen:
  • Zu Ihren Sklaven hat Scarlett ein engeres Verhältnis und wesentlich mehr Vertrauen als zu irgend einer weißen Person im ganzen Buch, einschließlich ihrer eigenen Familie.
  • Es wird suggeriert (und nicht nur an diesem Punkt), dass die Yankees die Befreiung der Sklaven dazu genutzt haben, um die Südstaaten plattzumachen und die Sklaven gegen ihre früheren Eigner aufzuhetzen, selbst aber wesentlich rassistischer waren, als die Südstaatler, so dass sie folglich nach deren Befreiung nicht mehr wussten, was mit den ganzen ehemaligen Sklaven passieren sollte.
  • Uncle Peter ist "part of the family" und bleibt selbstverständlich freiwillig bei "seiner" Familie, obwohl er die Chance hätte, die neue Freiheit zu nutzen.  
Aus diesen Erkenntnissen ließe sich nun schließen, dass Sklaven in "Gone with the Wind" wohl nicht die geknechteten, unmenschlich behandelten Kreaturen sind, als die sie oft in anderen Geschichten behandelt werden. Sie waren absolut loyal ihrer Familie gegenüber und blieben freiwillig, auch als sie es nicht mehr mussten. Sie hatten eine Vertrauensposition innerhalb ihrer Familie, wurden geschätzt, vielleicht sogar geliebt und beschützt. 

Beschützt?

Und hier kommen wir zu einem der Knackpunkte!
Denn auch wenn es im Licht der Geschichte ja durchaus ehrenwert ist, dass Scarlett Uncle Peter gegenüber einen so starken Beschützerinstinkt hat (immerhin hat sie den nicht vielen Menschen gegenüber, zumindest nicht so offensichtlich), wird doch auch klar, dass Uncle Peter überhaupt keine Chance hat, sich selbst gegen die weißen Frauen zu wehren. Er mag ja ein Teil der Familie sein, aber er ist ganz bestimmt kein gleichberechtigter Teil. Und eine Seite weiter wird klar, dass er das in Scarletts Augen, bei aller Liebe, auch nie sein könnte:
Scarlett thought "What damnable queer people Yankees are! Those women seemed to think that because uncle Peter was black, he had no ears to hear with and no feelings, as tender as their own, to be hurt. They did not know that negroes had to be handled gently, as though they were children, directed, praised, pettet, scolded.[...] Not trust a darky! Scarlett trusted them far more than most white people, certainly more than she trusted any  Yankee. There were qualities of loyalty and tirelessness and love in them that no strain could break, no money could buy." 
Wir sehen also wie Scarlett, als eine der oft am rational denkendsten Figuren des ganzen Buches, vollkommen selbstverständlich davon ausgeht, dass Schwarze zu einer anderen Art Mensch gehören. Im Gegensatz zu vielen anderen Geschichten (Django...) werden die Sklaven hier definitiv menschlicher behandelt (Sscarlett ist zum Beispiel vollkommen aufgebracht darüber, dass die Yankees denken, alle Südstaatler hätten einen "Sklavenhund", der entlaufene Sklaven jagt, oder würden ihre Sklaven regelmäßig auspeitschen) - aber das bringt sie noch lange nicht dazu, Uncle Peter als gleichwertigen Menschen zu sehen. Selbst wenn viele der Eigenschaften, die sie ihm zuschreibt sogar positiver sind, als die, die sie ihren weißen Mitmenschen zuschreibt - sie schreibt ihm unleugbar andere Wesenzüge zu, aus dem einfachen Grund, dass er eine andere  Hautfarbe hat.

Somit ist wohl klar, dass Scarlett durchaus rassistisch ist. 

Allerdings sind das ja immer noch Scarletts Gedanken, womit noch nicht bewiesen ist dass das Buch an sich (bzw. die Autorin an sich) eine rassistische Grundhaltung propagiert. Scarlett ist eben ein Kind ihrer Zeit und dazu erzogen, in bestimmten Denkmustern zu denken. Genau wie alle anderen Menschen dieser Gesellschaft. Schließlich ist die Grundhaltung der allermeisten Männer in diesem Buch auch absolut diskriminierend Frauen gegenüber - was, bei einer solchen Heldin, definitiv keine Meinung ist, die von der Autorin unterstützt wird. Im Gegensatz zur Sklavenfrage wird die Haltung Frauen gegenüber von der Autorin allerdings klar verurteilt: "In fact, men gave the ladies willingly everything in the world except credit for having intelligence." Und das ist nur eines von vielen Zitaten aus denen ersichtlich wird, wie wenig die Autorin von der damaligen Einstellungen Frauen gegenüber hält. Im Gegensatz dazu gibt es im ganzen Buch keine klare Position, die  Rassismus verurteilt. Weder als Bestandteil der Hintergrunderzählung, noch als Satz, der einer der Figuren in den Mund gelegt wurde.Von daher muss wohl davon ausgegangen werden, dass sowohl die  Autorin als auch die Geschichte tendenziell eine rassistische Grundhaltung propagieren.

Sollte man das Buch deshalb nicht lesen?

Im Gegenteil! Ich halte es sogar für sehr lehrreich, was die Einstellung der Menschen zu dieser Zeit betrifft. Und als aufgeklärter Mensch der Gegenwart sollte es wohl möglich sein, alle Gedanken und Handlungen der Menschen damals zu sehen und sich zu denken  - "Gut, dass ich es besser weiß!"

Und falls ihr mal daran zweifelt solltet, ob ihr es wirklich besser wisst, falls mal auch nur der Hauch einer rassistischen Anwandlung bei euch auftaucht - schließlich gibt es auch unserer Gesellschaft immer noch haufenweise gefährlicher, unterbewusster Vorurteile - schaut euch dieses Video an. Es ist verdammt erschreckend zu sehen, wie man Kinder innerhalb von Minuten dazu bringen kann, einander zu diskriminieren. Und ermutigend zu erkennen, dass es eigentlich nur ein bisschen Empathie braucht, um das ganze verlogene Prinzip von Rassismus zu durchschauen - und anzufechten.



Ps: Im Gegensatz zur relativ einfach zu durchschauenden rassistischen Grundhaltung der Figuren finde ich übrigens die Verharmlosung der Sklaverei in diesem Buch wesentlich gefährlicher. Aber dazu dann nächstes Mal mehr. Schönen Gruß an alle, die beim Lesen tatsächlich bis hierhin durchgehalten haben. Ihr kriegt ein Eis.




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Samstag, 22. Juni 2013

"I'm never going to be hungry again!" - Vom Winde verweht [Rezension Teil 1]

Fantastisch.

Definitiv bis jetzt mein bestes Buch der Liste.
Nichts mehr hinzuzufügen.
Ich bin noch ganz atemlos.

Fürs Erste ein paar Stichpunkte.
Gone with the Wind war für mich:

  • 1000 Seiten und ca. eine Woche kompletter Realitätsverlust
  • 5 Tage lang den Feierabend herbeisehnen, um endlich wieder im Amerika des 19. Jahrhunderts anzukommen
  • Ca 10 mal die Minute ärgern über Scarlett O'Hara
  • Mich pausenlos über den Respekt wundern, den ich einer Frau entgegenbringe, über die ich mich ca. 10 mal die Minute ärgere
  • Unzählige atemlose Momente sobald Rhett Buttler ins Spiel kommt, gefolgt von entnervten Seufzern, wenn er wieder verschwindet
  • ein Ansporn, mich über die Sklaven-Besitzer-Beziehungen in den früheren Südstaaten zu informieren
  • ein bleibendes Gefühl des Ärgers über die "damn Yankees" und die "stubborn Southerners"
  • Eine Festigung der Überzeugung, dass Kriege sinnlos sind. Und die Menschen sich immer das Gegenteil einzureden wissen, wenn die Kriege unausweichlich werden. 
  • eine beängstigende Steigerung meines Südstaatenticks
Verzeihung, kennt jemand die Story nicht? Dann kurz ein paar Worte
Zur Story:

Die 16-jährige Scarlett O'Hara, verwöhnte Tochter eines irischen Plantagenbesitzers und einer der größten Damen des Countys Georgia im Jahre 1861, hat es satt, Geschichten vom Krieg zu hören. Die Männer reden von nichts anderem mehr und sind absolut heiß darauf, den eingebildeten Yankees endlich zu zeigen, wo es lang geht. Denn wenn es zum Krieg kommt, ist ja schließlich klar, dass die Südstaatler den Yankees diese Flausen von wegen "Sklaverei ist falsch" sehr schnell austreiben werden. Scarlett ärgert sich über dieses Interesse am Krieg, denn jedes Interesse, das nicht allein ihr gebührt, ärgert sie. Ihr genügt es, die Schönste auf jedem Ball zu sein und allen Männern den Kopf zu verdrehen. Selbst, wenn die schon einer anderen die Ehe versprochen haben. Gerade dann! So ist es kein Wunder, dass Scarlett zwar der Lieblings aller Männer ist, aber keines der Mädchen sie ausstehen kann.

Mitten in dieser Südstaatenidylle voller Bälle, Barbecues und Flirtereien geschehen zwei Dinge, die Scarletts Welt für immer ändern werden: Der einzige Mann, den sie je wirklich geliebt hat, heiratet eine andere - und der Krieg bricht aus. Scarlett, in einer von Männern dominierten Welt plötzlich auf sich allein gestellt, entdeckt dass sie durchaus die Fähigkeiten hat, sich und andere vor dem Hungertod zu retten. Und wenn die ehrhafte Gemeinschaft der Südstaatler auch noch so schlecht von ihr denkt - Scarlett reagiert mit dem Schwur, der 80 Jahre nach Erscheinen des Buches immer noch berühmt ist:
"As God is my witness, as God is my witness, the Yankees aren't going to lick me. I'm going to live through this, and when it's over, I'm never going to be hungry again. No, nor any of my folks. If I have to steal or kill- as God is my witness, I'm never going to be hungry again."

Meine Meinung:

Die erinnerungswürdigsten Charaktere und die verquersten Beziehungen aller Zeiten

Scarlett O'Hara ist wohl kaum eine Vorzeigeheldin: völlig verzogen und nur auf ihre eigenen Wünsche bedacht, nutzt sie Menschen aus, betrügt sie und kümmert sich einen Dreck darum, wie es ihnen dabei geht. Sie vernachlässigt ihre eigenen Kinder und schreckt auch vor Mord nicht zurück, wenn sie damit ihr Eigentum vergrößern kann. Auf der anderen Seite ist sie herzzerreißend mutig und erbittert loyal, wenn es um die Menschen geht, die sie liebt. Davon gibt es nicht viele, aber überraschenderweise gehören vor allem Sklaven dazu.

Melanie Wilkes ist die Frau, die Scarlett's Traummann schließlich heiratet. Scarlett hasst die gutherzige und durch und durch ehrbare Melly aus tiefstem Herzen. Durch eine seltsame Fügung des Schicksals werden die Wege der beiden Frauen aber zusammengeschweißt und die Beziehung zwischen ihnen ist keine, die der Leser so schnell wieder vergisst.

Rhett Buttler. "The dashing soldier of fortune". Oh verdammt noch mal, was für eine verquere Beziehung. Ich war noch nie so fix und fertig, wenn es um eine Liebesgeschichte geht! In der Hälfte der Szenen, in denen Captain Buttler auftaucht, möchte man einfach nur mit dem Kopf immer. wieder. auf. den. Tisch. schlagen. Wenn man ihn nicht gerade heiraten will.
His eyes were wide and blazing queerly and the tremor in his arms frightened her. "I want to make you faint. I will make you faint. You've had this coming to you for years. None of the fools you've known have kissed you like this - have they? [...] Gentleman all - what do they know about women? What do they know about you? I know you." 

Die Geschichte der Südstaaten hautnah


Mit einem mittelschweren Südstaatentick behaftet, war es jetzt keine allzu große Überraschung, dass ich mich Hals über Kopf in das Buch verliebt habe. Hier bekommt man den Fall der Südstaaten, den dickköpfigen Stolz des Volkes, die verqueren Geschlechter Beziehungen und die widersprüchlichen Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen hautnah mit. (Wenn auch ziemlich romantisiert, wie ich befürchte.) Zu jedem dieser Themen würde sich aber ein eigener Post lohnen, weshalb ich hier nun besser aufhöre, sonst wird dieser Beitrag mehrere seiten lang. Für's erste reicht ein kurzes Fazit.

Fazit:
Wundervoll. Mächtig, berauschend, belehrend, zum atemlos Schmökern und ungebremst heulen. Zum Südstaaten lieben und hassen. 

Mittwoch, 12. Juni 2013

Einfach das Finale weggelassen? Deal with it.

Für alle, die das Game of Thrones Finale der dritten Staffel auch schon gesehen haben. Und sich auf das Ende gefreut hatten. Das fehlte.

Cheers.

via
Ps: Hier der Unterschied zwischen denen die das Buch gelesen haben... und allen anderen.

Freitag, 7. Juni 2013

Endlich mal wieder so richtig durch ein Buch quälen... (Noughts & Crosses)

"By the time I was nineteen I'd gained my stripes - and lost my soul. But a soul was unnecessary in my line of work." (p. 341)

Mein 5. Buch in der "Bücher, die man gelesen haben muss-Challenge" (und übrigens mein 40. auf der 100 Bücher Liste - ich müsste die mal wieder aktualisieren) war Noughts & Crosses von Malorie Blackman. Soweit ich weiß, ist die Geschichte nie auf deutsch übersetzt worden, aber in Großbritannien scheint sie super beliebt zu sein und hat wohl auch schon mehrere Preise gewonnen. Ich werde das wohl so glauben müssen, denn logisch erschlossen hat sich mir der Grund dafür nicht.

Zur Story:

Es geht um Callum und Sephy, zwei Jugendliche die als Freunde aufgewachsen sind, obwohl jeder weiß, dass sie später zu Feinden werden müssen. Denn Callum ist ein Nought - ein blonder, hellhäutiger "Second class citizen" - in einer Welt, die von Crosses beherrscht wird, der dunkelhäutigen Oberklasse. Als Callum es als einer der ersten Noughts schafft, an Sephys Schule aufgenommen zu werden, gibt es Proteste in der Bevölkerung - wer will schon, dass seine gut erzogenen Kinder mit einem dreckigen Weißen - einem "Blanker" - zur Schule gehen müssen? Die Situation spitzt sich zu und als Callums Vater verdächtigt wird, Teil der "Liberation Militia", der weißen Freiheitsbewegung zu sein, kommt es zur Eskalation. Denn diese terroristische Gruppe ist für die Bombe verantwortlich, in der Sephy fast umgekommen wäre - wenn Callum sie nicht gerade noch rechtzeitig gewarnt hätte...

Meine Meinung:

"If you're black, that's where it's at. If you're brown, stick around. If you're white, say goodnight." (p. 134)

Das Buch müsste eigentlich spannend sein. Malorie Blackman hat die Geschichte der Apartheit einfach kurzerhand auf den Kopf gestellt und es fällt erstaunlich schwer, sich ein solch umgedrehtes schwarz/weiß Klassensystem vorzustellen. Die Situation an sich ist nicht viel anders als die, die sich  zu Martin Luther Kings Zeit abgespielt haben muss - der eine Teil der Bevölkerung ist reich, der andere arm, der eine Teil ist Dienstmädchen, der andere reiche Hausfrau. Nur dass hier eben die Hautfarben vertauscht wurden. Und tatsächlich habe ich es nicht wirklich hinbekommen, mir Sephy, die reiche, verwöhnte Tochter des Governours ohne einen blonden Pferdeschwanz vorzustellen. Allerdings hatte sie in meinem Kopf auch ständig ein Tenniskleidchen an, daher bin ich mir ziemlich sicher, dass dieses Bild zumindest teilweise an ihrem Namen lag. Hätte man das Mädchen durchgehend mit ihrem Taufnamen "Persephone" betitelt, hätte ich sie vielleicht nicht ständig mit Stephi Graf assoziiert. Anyway, das Buch regt eindeutig zum Nachdenken an, was durchaus wertvoll und positiv ist.

Andererseits... habe ich mich zu Tränen gelangweilt. Es geht um Liebe, Tod, Selbstmord, Terrorismus, Sklaverei - eine ganze Menge spannende Themen. Aber ich hatte irgendwie das Gefühl, sie werden komplett ohne Gefühl rübergebracht. So als hätten die Hauptfiguren Sephy und Callum nur den Zweck, ihre Schicht zu repräsentieren und eben die Geschichte voranzubringen, aber ansonsten hat sich die Autorin nicht wirklich für sie interessiert. 

Ca 3/4 des Buches spielt sich ab, während Callum 16 ist und Sephy zwei Jahre jünger. Es dauert eeeewig, bis die Geschichte mal etwas an Fahrt aufnimmt. Es gibt jugendliche Buchcharaktere, die sehr viel reifer wirken, als sie in dem Alter normalerweise wären.  Sephy und Callum gehören nicht dazu. Gerade Sephys Gedanken sind mir mit der Zeit so auf die Nerven gegangen, dass ich sie nur noch überflogen habe. Es geht ja hier unzweifelhaft und um ein  mutiges Mädchen, dass tief verzweifelt über die Umstände seiner Zeit ist - aber sie hat es nicht wirklich geschafft, mein Mitgefühl zu wecken. Dann macht die Geschichte auf einmal einen Zeitsprung und der drei Jahre ältere Callum hat seinen Charakter angeblich um 180 Grad gedreht. Für den Leser ist das vollkommen unglaubwürdig, weil die schwere  Änderungsphase einfach mit ein paar Sätzen abgehakt wird. Und so wirkt auch der Rest des Buches einfach nur konstruiert und flach. Und unangenehm vorausschaubar.

Was ich aber ganz, ganz fürchterlich fand, weil ich finde, dass sowas einfach gar nicht geht bei einem guten Buch: die Charaktere handeln unlogisch oder dämlich und die Geschichte wird durch einen Zufall entschieden. Ich habe mich über diese eine Szene so aufgeregt, dass ich eigentlich keine Lust mehr hatte, weiterzulesen (wobei es auch nicht so ist, dass ich an irgendeinem Punkt vorher schon mal besonders große Lust hatte, weiterzulesen). Alle die das Buch noch lese möchten, sollten hier aufhören zu lesen, es kommen Spoiler:

Unlogische Handlung Teil 1:

Sephy schreibt Callum einen Brief in dem sie ihm sagt, dass er zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort sein soll, ansonsten geht sie auf ein Internat und IST WEG. Callum, der normalerweise nie auf die Idee kommen würde, einen Brief zu ignorieren, liest ihn erst am nächsten Tag. Und so kommt es, dass er nur noch dem wegfahrenden Auto nachhechten kann, in dem Sephy ihn nicht mehr sieht und denkt, er hätte sie aufgegeben. Todtraurig leben also beide ihr Leben in den nächsten drei Jahren, in dem Bewusstsein, dass sie sich verloren haben. HALLO? TELEFON BENUTZEN? Die rufen sich doch sonst auch ständig an. Wie schwer ist es wohl, die Nummer der Schule rauszufinden, unter falschem Namen da anzurufen und kurz durchzugeben "Hi, ich war 5 Minuten zu spät, ich hab dich trotzdem lieb." Alles Paletti, keiner muss 3 Jahre einsam sein. Die Autorin entscheidet sich aber lieber für den radikalen Verlauf und lässt Callum der Terrorgruppe beitreten, in der er sich dann angeblich nullkommanichts in einen gefühllosen Schwerverbrecher verwandelt. (Siehe Zitat oben.)

Unlogische Handlung Teil 2:

... und weil Callum jetzt so ein Verbrecher ist, stimmt er auch sofort zu, als seine Verbrecherfreunde entscheiden, Sephy zu entführen. Nur sein Bruder (zu dem Callum ein ganz seltsames Verhältnis hat und der einer der Anführer der Miliz ist) misstraut Callum. Callum kann ihn aber überzeugen, dass Sephy ihm völlig egal ist, indem er ihr - Achtung! - in den Finger schneidet! Weil -Blut. (Wobei ich zugeben muss, dass dieser Move bei einem Kinderbuch wahrscheinlich ausreichend ist.) Fünf Minuten später erkennt Callum aber, dass er doch noch nicht so gefühlskalt ist, wie er dachte, er bringt sie nicht um, und die beiden fallen wollüstig übereinander her. Auch das übrigens, ohne dass es mich irgendwie besonders berührt hätte.

Fazit:

Sehr viel Potential, sehr wenig Tiefe. Es fühlt sich an, als hätte die Autorin genau gewusst, welche Story sie erzählen will - und die Figuren nachträglich eingefügt, ohne sich vorher die Zeit zu nehmen, ihre Hauptcharaktere ein bisschen genauer kennenzulernen. Schade. Die Geschichte wird dadurch leider ziemlich fade und ich musste mich durch das Buch quälen. Grundsätzlich schlecht ist das Buch aber nicht. Wer mit flachen Charakteren kein Problem hat, der mag evtl. sogar gefesselt sein. Oder auch nicht.

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